Alarich I.
Alarich I. [* um 370 auf der Insel Peuke — † 410 bei Cosenza] war ein westgotischer Heerführer und König, der insbesondere durch die Plünderung Roms im Jahr 410 in die Geschichte einging. Als einer der bedeutendsten Akteure der Völkerwanderungszeit spielte er eine zentrale Rolle im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter. Sein Wirken prägte das Verhältnis zwischen den germanischen Föderaten und dem Weströmischen Reich maßgeblich.
Herkunft und Aufstieg
Alarich I. wurde um das Jahr 370 vermutlich auf den Peuce-Inseln im Donaudelta geboren. Er entstammte dem Geschlecht der Balten, einer Adelsfamilie innerhalb des westgotischen Stammesverbandes. Über seine frühe Kindheit und Jugend ist wenig bekannt, doch wird angenommen, dass er bereits früh in Kontakt mit dem römischen Militär- und Verwaltungssystem kam. Die Westgoten, zu denen Alarich gehörte, waren nach der Schlacht von Adrianopel im Jahr 378 in wachsendem Maße in das Römische Reich integriert worden. Sie hatten sich als Föderaten in Thrakien niedergelassen, standen jedoch unter ständiger römischer Kontrolle.
Alarichs militärischer Aufstieg begann unter Kaiser Theodosius I., in dessen Armee er als Anführer einer gotischen Truppe diente. Seine ersten bedeutenden Einsätze führten ihn in den Balkanfeldzügen Theodosius’ gegen Usurpatoren wie Eugenius und Arbogast. Nach dem Tod des Kaisers im Jahr 395 und der Teilung des Reiches zwischen dessen Söhnen Arcadius und Honorius entstand eine politische Krise, die Alarich für seine eigenen Ambitionen nutzte.
König der Westgoten und erste Feldzüge
Nach dem Tod Theodosius’ proklamierten ihn seine Anhänger zum König der Westgoten. Dieses Amt war neuartiger Natur, da die Goten bis dahin keine dauerhafte Königsinstitution kannten. Alarich nutzte seine Position, um gegen das Oströmische Reich zu ziehen. In den Jahren 395 bis 396 fiel er mit seinem Heer in Griechenland ein, plünderte bedeutende Städte wie Korinth, Argos und Sparta und bedrohte sogar Athen. Der oströmische Feldherr Stilicho, ein talentierter General vandalischer Abstammung, versuchte, Alarich zurückzudrängen, konnte ihn jedoch nicht entscheidend schlagen.
Im Jahr 397 wurde Alarich von der oströmischen Regierung zum magister militum per Illyricum ernannt, was ihm offiziell eine römische Stellung verlieh. Dennoch suchte er nach weiteren Möglichkeiten, die Position seines Volkes zu stärken. Sein Ziel war die Anerkennung eines eigenen Siedlungsgebietes innerhalb des Reiches, doch die römischen Kaiser verweigerten ihm eine dauerhafte territoriale Zuweisung.
Konflikt mit dem Weströmischen Reich
Alarich wandte sich in den folgenden Jahren dem Weströmischen Reich zu, da die Spannungen zwischen Ost- und Westrom zunahmen. Im Jahr 401 überschritt er mit seinem Heer die Alpen und fiel in Italien ein. Sein Ziel war vermutlich die Sicherung eines Siedlungsgebietes für die Westgoten, doch Stilicho schlug ihn in zwei Schlachten, zunächst bei Pollentia (402) und dann bei Verona (403). Alarich zog sich daraufhin nach Illyrien zurück.
Die Ermordung Stilichos im Jahr 408 und die daraus resultierende Schwächung des weströmischen Militärs gab Alarich eine neue Gelegenheit zum Handeln. Er zog erneut nach Italien, forderte von Kaiser Honorius die Zahlung von Tributen und die Anerkennung eines westgotischen Siedlungsgebietes. Nachdem die Verhandlungen scheiterten, belagerte er Rom im Jahr 408 und zwang den Senat zur Zahlung eines hohen Lösegeldes.
Im Jahr 409 rief er Priscus Attalus, einen Senator, als Gegenkaiser aus, um Druck auf Honorius auszuüben. Dieser Versuch scheiterte jedoch, und Alarich musste seinen Kandidaten fallen lassen. Nachdem seine Verhandlungen mit Honorius endgültig scheiterten, fiel er 410 erneut in Rom ein.
Die Plünderung Roms im Jahr 410
Am 24. August 410 eroberten Alarichs Truppen Rom, das Zentrum des einst mächtigen Imperiums. Die Stadt wurde geplündert, doch viele Kirchen, insbesondere die des heiligen Petrus und Paulus, blieben unangetastet. Die Plünderung Roms war ein symbolträchtiges Ereignis, das in der gesamten Mittelmeerwelt Bestürzung auslöste und als ein Zeichen für den Verfall der römischen Macht angesehen wurde.
Nach der Plünderung zog Alarich mit seinem Heer nach Süditalien, vermutlich mit dem Ziel, nach Afrika überzusetzen, um dort die Getreideversorgung zu kontrollieren. Ein Sturm zerstörte jedoch seine Flotte, und sein Heer erlitt schwere Verluste.
Tod und Nachfolge
Alarich starb im Spätsommer 410, vermutlich an einer Krankheit, in Cosentia (heutiges Cosenza in Kalabrien). Der Überlieferung zufolge wurde er mit einem großen Schatz im Bett des Flusses Busento begraben, dessen Lauf für das Begräbnis umgeleitet wurde. Anschließend wurden die an den Arbeiten beteiligten Sklaven getötet, um die Grabstätte geheim zu halten.
Nach seinem Tod übernahm sein Schwager Athaulf die Führung der Westgoten. Die Goten zogen nach Gallien weiter, wo sie 418 von den Römern in Aquitanien angesiedelt wurden, womit die Grundlage für das Westgotenreich geschaffen wurde.
Bedeutung und Rezeption
Alarich I. gilt als einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der Völkerwanderungszeit. Sein Handeln beschleunigte den Niedergang des Weströmischen Reiches und markierte einen Wendepunkt in der Geschichte Europas. Seine Plünderung Roms wurde von Zeitgenossen als unheilvolles Zeichen gedeutet, insbesondere von christlichen Autoren wie Hieronymus und Augustinus. Letzterer versuchte in seinem Werk „De Civitate Dei“, den Fall Roms theologisch zu deuten und die Bedeutung der irdischen Macht zu relativieren.
Die Figur Alarichs wurde in der späteren Geschichtsschreibung oft unterschiedlich bewertet. Während er in der römischen Überlieferung als Barbar dargestellt wurde, betrachteten ihn gotische Chronisten als großen Anführer. In der modernen Forschung wird Alarich nicht mehr nur als Zerstörer Roms gesehen, sondern als ein Heerführer, der versuchte, für sein Volk eine neue Heimat zu schaffen. Sein Vermächtnis lebt in der Geschichte der Westgoten fort, die nach seinem Tod eine bedeutende Rolle in der Nachfolgelandschaft des Römischen Reiches spielten.
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Literaturverzeichnis
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