Altenglische Literatur

Version vom 9. März 2025, 12:05 Uhr von Wulfrich (Diskussion | Beiträge) (Schützte „Altenglische Literatur“ ([Bearbeiten=Nur Administratoren erlauben] (unbeschränkt) [Verschieben=Nur Administratoren erlauben] (unbeschränkt)) [kaskadierend])
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Altenglische Literatur bezeichnet die literarischen Werke, die in der altenglischen Sprache, auch bekannt als Angelsächsisch, verfasst wurden. Diese Sprache war von etwa 450 bis 1150 n. Chr. in England verbreitet und gehört zur westgermanischen Sprachfamilie. Die altenglische Literatur stellt den frühesten Abschnitt der englischen Literaturgeschichte dar und umfasst eine Vielzahl von Texten, die sowohl poetische als auch prosaische Formen einnehmen. Sie spiegelt die kulturellen, religiösen und sozialen Entwicklungen Englands während des Frühmittelalters wider und gilt als bedeutendes Zeugnis der literarischen und sprachlichen Traditionen der angelsächsischen Zeit.

Historischer Kontext und sprachliche Entwicklung

Die altenglische Literatur entstand im Kontext der angelsächsischen Besiedlung Britanniens, die etwa im 5. Jahrhundert begann. Die angelsächsischen Stämme, die aus Regionen des heutigen Norddeutschlands, Dänemarks und der Niederlande stammten, brachten ihre eigene Sprache und Kultur mit, die sich mit der einheimischen keltischen Tradition sowie später mit römischen und christlichen Einflüssen vermischte. Die altenglische Sprache entwickelte sich aus dem Westgermanischen und bestand aus mehreren Dialekten, darunter vor allem Westsächsisch, das als literarische Standardsprache der altenglischen Literatur dominierte.

Die Einführung des Christentums in England ab dem späten 6. Jahrhundert führte zu einer bedeutenden kulturellen Transformation, die auch die Literatur prägte. Klöster wurden zu Zentren der Schriftkultur, und es entstand eine schriftliche Tradition, die sowohl religiöse als auch weltliche Themen behandelte. Die Literatur dieser Zeit war stark von der mündlichen Überlieferung geprägt, die bereits in der germanischen Heimat der Angelsachsen eine zentrale Rolle spielte. Dennoch wurde sie zunehmend durch den Einfluss der lateinischen Schriftkultur und der christlichen Theologie geprägt, was zur Entstehung einer einzigartigen literarischen Tradition führte.

Poetische Tradition und Gattungen

Die altenglische Literatur ist vor allem für ihre poetische Dichtung bekannt, die sich durch ihre charakteristische Verwendung des Stabreims auszeichnet. Dieses metrische Schema, das auf Alliteration basiert, war ein wesentliches Merkmal der germanischen Poesie und wurde in der altenglischen Dichtung weiterentwickelt. Die Gedichte wurden häufig mündlich überliefert und von Dichtern, den sogenannten Scops, vorgetragen, die eine zentrale Rolle in der kulturellen Praxis der angelsächsischen Gesellschaft einnahmen.

Ein herausragendes Beispiel altenglischer Dichtung ist das „Beowulf“-Epos, das als eines der bedeutendsten Werke der altenglischen Literatur gilt. Es erzählt die heroischen Taten des Geats Beowulf, der die Monster Grendel und Grendels Mutter besiegt und schließlich im Kampf gegen einen Drachen stirbt. Das Werk ist nicht nur ein literarisches Meisterwerk, sondern auch eine wichtige Quelle für die Erforschung der germanischen Mythologie, der sozialen Strukturen und der Werte der angelsächsischen Zeit.

Neben den heroischen Epen umfasst die altenglische Poesie auch religiöse Dichtung, die häufig von christlichen Themen geprägt ist. Zu den bedeutendsten religiösen Dichtern zählt Cædmon, dessen „Hymne“ als eines der frühesten Beispiele christlicher Poesie in altenglischer Sprache gilt. Auch Cynewulf, ein weiterer bedeutender Dichter, verfasste religiöse Gedichte, die durch ihre kunstvollen Metaphern und ihren theologischen Gehalt beeindrucken.

Die Elegien stellen eine weitere wichtige Gattung der altenglischen Dichtung dar. Diese melancholischen Gedichte, darunter „The Wanderer“ und „The Seafarer“, behandeln Themen wie Vergänglichkeit, Einsamkeit und die Suche nach Trost im Glauben. Sie zeichnen sich durch eine introspektive und philosophische Tiefe aus, die bis heute Leser und Forscher fasziniert.

Prosa und schriftliche Überlieferung

Die altenglische Prosa entwickelte sich parallel zur Dichtung und umfasst eine breite Palette von Texten, darunter historische, religiöse, juristische und didaktische Werke. Besonders hervorzuheben ist die „Angelsächsische Chronik“, eine Sammlung historischer Aufzeichnungen, die auf Initiative von König Alfred dem Großen um 890 n. Chr. begann und bis in das 12. Jahrhundert fortgeführt wurde. Dieses Werk ist nicht nur ein wichtiges Zeugnis der altenglischen Sprache, sondern auch eine wertvolle Quelle für die Geschichte Englands im frühen Mittelalter.

Ein weiterer bedeutender Vertreter der altenglischen Prosa ist Ælfric von Eynsham, ein Mönch und Schriftsteller, der zahlreiche religiöse und didaktische Werke verfasste. Seine „Homilien“ und „Heiligenleben“ zeichnen sich durch ihre klare und kunstvolle Sprache aus und dienten der Vermittlung christlicher Lehren an die angelsächsische Bevölkerung. Auch Wulfstan, ein Erzbischof von York, hinterließ eine Reihe von Predigten und rechtlichen Texten, die durch ihren rhetorischen Stil und ihre moralische Strenge beeindrucken.

Die altenglische Prosa war stark von lateinischen Vorbildern beeinflusst, insbesondere durch die Werke der Kirchenväter und anderer christlicher Autoren. Dennoch entwickelte sie eine eigene Ausdrucksweise, die sich durch ihre klare Syntax, ihre anschaulichen Bilder und ihre Betonung von Moral und Religion auszeichnet. Die schriftliche Überlieferung der altenglischen Literatur erfolgte vor allem in Klöstern, wo Manuskripte sorgfältig kopiert und bewahrt wurden. Zu den wichtigsten Manuskripten gehören der „Nowell Codex“, der das „Beowulf“-Epos enthält, sowie das „Exeter Book“ und das „Vercelli Book“, die zahlreiche Gedichte und prosaische Texte bewahren.

Thematische Vielfalt und kulturelle Bedeutung

Die altenglische Literatur spiegelt die kulturelle und geistige Vielfalt der angelsächsischen Zeit wider. Sie behandelt eine breite Palette von Themen, die von heroischen Kämpfen und göttlicher Erlösung bis hin zu alltäglichen Sorgen und philosophischen Fragen reichen. Die Kombination von germanischen und christlichen Elementen verleiht der altenglischen Literatur eine einzigartige Tiefe und Komplexität, die sie von anderen frühmittelalterlichen Literaturen unterscheidet.

Die Dichtung und Prosa der altenglischen Literatur dienten nicht nur der Unterhaltung, sondern auch der Vermittlung von Werten und Lehren. Sie spielte eine zentrale Rolle in der Erziehung und der religiösen Unterweisung und trug zur Bewahrung und Weitergabe des kulturellen Erbes der angelsächsischen Gesellschaft bei. Gleichzeitig bot sie Raum für individuelle Kreativität und künstlerischen Ausdruck, der bis heute bewundert wird.

Die Bedeutung der altenglischen Literatur liegt nicht nur in ihrer literarischen Qualität, sondern auch in ihrer Funktion als historische Quelle. Sie bietet Einblicke in die Sprache, die Gesellschaft und die Weltanschauung der Angelsachsen und trägt dazu bei, ein umfassenderes Bild der englischen Kulturgeschichte zu zeichnen. Die Erforschung der altenglischen Literatur bleibt ein zentrales Anliegen der Mediävistik und der englischen Philologie, die weiterhin neue Perspektiven und Erkenntnisse über diese faszinierende Epoche liefern.

©1997—2025 Andreas Alexander Ulrich (Urheber):  

Siehe auch

  • Beowulf (Beispiel für die altenglische Literatur)


Geschichtswissenschaftliche Nachschlagewerke

Enzyklopädien & Lexika

Germanische Altertumskunde Online (GAO)

Brockhaus Enzyklopädie

Brockhaus Schullexikon

Brockhaus Kinderlexikon

Encyclopædia Britannica

Britannica Kids

Encyclopedia.com

Wikipedia (Wiki)

World History Encyclopedia

Wissen.de

Bibliotheken

Deutsche Nationalbibliothek (DNB)

Deutsche Digitale Bibliothek (DDB)

British Library (BL)

Library of Congress (LCCN)

WorldCat

Archive

Deutsches Zeitungsportal

Internet Archive (Wayback Machine)

Zeno.org

Tagesschau (ARD / Das Erste)

Wörterbücher

Duden

Langenscheidt-Wörterbücher

Pons-Wörterbuch

Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS)

Wissenschaftliche Publikationen

National Geographic

GEO

  • GEO ← Artikelsuche

WordPress

Atlanten

Diercke Weltatlas