Fränkische Literatur

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Die fränkische Literatur bezeichnet jene literarischen Werke und Überlieferungen, die im Frankenreich während des Frühmittelalters und Hochmittelalters entstanden und sich in verschiedenen westgermanischen Dialekten, insbesondere im fränkischen Sprachraum, ausdrücken. Sie umfasst sowohl mündlich tradierte als auch schriftlich fixierte Texte und spiegelt die kulturelle, politische und religiöse Entwicklung der fränkischen Gesellschaft wider. Die fränkische Literatur steht am Übergang zwischen der spätantiken römischen Schriftkultur und der sich im Mittelalter entfaltenden literarischen Produktion der germanischen Völker, wobei sie maßgeblich zur Ausbildung einer eigenständigen abendländischen Literaturtradition beitrug. Ihre Zeugnisse sind geprägt von der Verschmelzung germanischer Erzähl- und Rechtsformen mit lateinisch-christlichen Schrifttraditionen, was der fränkischen Literatur eine besondere historische und kulturgeschichtliche Bedeutung verleiht.

Begriff und Abgrenzung

Die Bezeichnung „fränkische Literatur“ bezieht sich primär auf jene literarischen Produktionen, die in enger Verbindung zum fränkischen Stammesverband und seinem politisch-kulturellen Herrschaftsraum stehen. Aufgrund der begrenzten schriftlichen Überlieferung der altfränkischen Sprache in reiner Form umfasst die fränkische Literatur sowohl Werke in lateinischer Sprache, die im Einflussbereich der Franken verfasst wurden, als auch Texte, die in den althochdeutschen und altniederfränkischen Dialekten entstanden. Da das Frankenreich sich über ein ausgedehntes Territorium erstreckte, das sowohl das heutige Frankreich, Deutschland, die Niederlande, Belgien als auch Teile der Schweiz und Norditaliens umfasste, zeigt die fränkische Literatur eine große Vielfalt hinsichtlich Sprache, Inhalt und literarischer Form. Der Begriff schließt sowohl rechtliche Texte und Gesetzessammlungen als auch religiöse Schriften, Heldenlieder, Zaubersprüche, Dichtung und Chroniken ein, sofern sie in einem fränkischen Kontext entstanden oder eindeutig auf fränkisches Brauchtum und Denken zurückzuführen sind.

Historische Entwicklung

Die fränkische Literatur entwickelte sich im Kontext tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen, die durch die Christianisierung, die Ausbildung zentraler Herrschaftsstrukturen und den Übergang von einer mündlichen Traditionsgesellschaft zu einer schriftbasierten Verwaltungskultur geprägt waren. In der Zeit von etwa 500 bis 800 war die fränkische Literatur in erster Linie durch mündlich überlieferte Dichtung und Rechtsnormen charakterisiert. Diese Phase war dominiert von Stammesrechtssammlungen, Heldenepik und magisch-religiösen Sprüchen, deren Inhalte nur zum Teil schriftlich überliefert sind. Zu den frühesten literarischen Zeugnissen zählen die sogenannten „Lex Salica“ und die „Lex Ribuaria“, die in lateinischer Sprache abgefasst wurden, jedoch zahlreiche fränkische Begriffe, Rechtsformeln und Sprachformen enthalten, die auf eine ältere mündliche Tradition schließen lassen.

Mit der Karolingischen Renaissance im 8. und 9. Jahrhundert kam es zu einer bewussten Förderung der Bildung und Schriftlichkeit im Frankenreich, woraus eine Blüte der lateinischen Literatur hervorging. Diese Epoche brachte eine Vielzahl von religiösen und historiographischen Texten hervor, die unter der Herrschaft Karls des Großen und seiner Nachfolger im Auftrag des Hofes und der Kirche entstanden. Im 9. Jahrhundert entwickelten sich im östlichen Teil des Frankenreiches, insbesondere in den althochdeutschen Dialekten, erste eigenständige literarische Werke in der Volkssprache. Hierzu gehören religiöse Dichtungen, Evangelienharmonien und Psalmenübersetzungen, die den Grundstein für die althochdeutsche Literatur legten und auf fränkische Dialekte zurückzuführen sind.

Sprachliche Grundlagen

Die sprachlichen Grundlagen der fränkischen Literatur sind komplex und differenziert. Während das Altniederfränkische im westlichen Teil des Reiches als Volkssprache erhalten blieb und sich in den späteren niederländischen Dialekten fortsetzte, unterlagen die östlichen fränkischen Dialekte dem Einfluss der zweiten germanischen Lautverschiebung und bildeten die Grundlage des Althochdeutschen. Die schriftliche Überlieferung der fränkischen Literatur erfolgte vorwiegend in lateinischer Sprache, wobei volkssprachliche Elemente in Glossen, Eigennamen und Formeln integriert wurden. Besonders im Bereich der Rechts- und Verwaltungstexte sind zahlreiche altes Rechtsvokabular und sprachliche Formen erhalten, die auf die fränkischen Dialekte zurückgehen. Die ältesten erhaltenen Texte in althochdeutscher Sprache, wie der „Wessobrunner Gebet“ oder das „Evangelienbuch“ des Otfrid von Weißenburg, zeigen deutliche Einflüsse der fränkischen Sprachform.

Früheste Zeugnisse und Rechtsliteratur

Zu den ältesten schriftlichen Zeugnissen fränkischer Literatur gehören die Rechtssammlungen „Lex Salica“, „Lex Ribuaria“, „Lex Chamavorum Francorum“ und „Lex Francorum Chamavorum“. Diese Sammlungen wurden im 6. und 7. Jahrhundert in lateinischer Sprache niedergeschrieben, beruhen jedoch auf älteren mündlichen Überlieferungen und spiegeln die frühmittelalterliche Rechtsauffassung und Gesellschaftsstruktur der Franken wider. Die „Lex Salica“ stellt die bedeutendste dieser Sammlungen dar und enthält neben Rechtsbestimmungen auch Informationen zu sozialen Strukturen, Werten und der Stellung der Frau im fränkischen Gesellschaftssystem. Diese Werke sind zugleich juristische Dokumente und literarische Zeugnisse einer oral geprägten Rechtskultur, in der Formeln, Schwurtexte und Rechtsrituale eine bedeutende Rolle spielten.

Heldenepik und Heldensage

Ein wesentliches Element der fränkischen Literaturtradition war die mündliche Überlieferung von Heldenliedern und Sagen, die in späteren schriftlichen Fassungen erhalten blieben oder Spuren in der hochmittelalterlichen Heldendichtung hinterließen. Die fränkische Heldenepik kreiste um zentrale Figuren wie Chlodwig I. und seine Nachfolger, die in Legenden und sagenhaften Erzählungen verherrlicht wurden. Die mündlichen Überlieferungen des fränkischen Stammesadels trugen zur Ausbildung des sogenannten Nibelungenstoffes bei, dessen Ursprünge in der fränkischen Frühzeit verankert sind. Das „Nibelungenlied“, das im Hochmittelalter verschriftlicht wurde, enthält zahlreiche Anspielungen auf historische und legendarische Gestalten der fränkischen Geschichte. Auch das „Lied von Hildebrand“ und andere althochdeutsche Dichtungen sind von fränkischem Heldenethos geprägt und stellen einen bedeutenden Teil der frühmittelalterlichen literarischen Überlieferung dar.

Religiöse Literatur und Missionstexte

Die Christianisierung der Franken ab dem 5. Jahrhundert führte zu einer zunehmenden Verbreitung religiöser Literatur, die in lateinischer und später auch in volkssprachlicher Form verfasst wurde. Im Zuge der karolingischen Bildungsreform entstanden bedeutende Werke theologischer und exegetischer Literatur, die von fränkischen Gelehrten wie Alkuin von York, Hrabanus Maurus und Einhard verfasst wurden. Diese Schriften, obwohl überwiegend in lateinischer Sprache verfasst, stehen in enger Verbindung zur fränkischen Hofkultur und reflektieren die theologisch-politischen Konzepte der karolingischen Herrschaftsideologie. Die volkssprachliche religiöse Literatur der Franken äußerte sich in Gebeten, Psalmenübersetzungen und Evangelienharmonien, darunter das „Evangelienbuch“ des Otfrid von Weißenburg, das als erstes umfassendes Werk althochdeutscher Literatur gilt und eine bedeutende fränkische Eigenleistung darstellt.

Historiographie und Annalistik

Die fränkische Historiographie nahm eine bedeutende Stellung innerhalb der frühmittelalterlichen Geschichtsschreibung ein. Werke wie die „Annales regni Francorum“, die „Annales Fuldenses“ und die „Annales Bertiniani“ dokumentieren die politischen Ereignisse und Herrschaftsabläufe im Frankenreich vom 8. bis zum 10. Jahrhundert. Diese Annalen wurden an bedeutenden Hof- und Klosterzentren verfasst und spiegeln die Perspektive der fränkischen Eliten wider. Ein herausragendes Beispiel für die fränkische Geschichtsschreibung ist die „Vita Karoli Magni“ des Einhard, die das Leben und die Herrschaft Karls des Großen in idealisierter Form beschreibt und auf römische Vorbilder wie Suetons „Kaiserbiographien“ zurückgreift. Die fränkische Annalistik diente nicht nur der historischen Dokumentation, sondern auch der Legitimation der karolingischen Dynastie und der moralischen Belehrung.

Poetische Dichtung und höfische Literatur

Obwohl die höfische Literatur der Hochromanik und Gotik in ihrer vollen Blütezeit dem mittelhochdeutschen Kulturraum zuzurechnen ist, lassen sich auch in der karolingischen Zeit erste Ansätze höfischer Dichtung im fränkischen Kontext erkennen. Die lateinischen Epen und Gedichte, die an den Höfen Karls des Großen und Ludwigs des Frommen entstanden, gehören zu den frühen Formen einer höfischen Gelehrtenpoesie. Die Werke von Modoin von Autun („Moduinus“) und Walahfrid Strabo vereinen christliche Themen mit antiker Metrik und zeigen eine Verbindung zwischen fränkischer Hofkultur und der literarischen Tradition der römischen Klassik. In den volkssprachlichen Traditionen der fränkischen Dialekte entwickelte sich die höfische Literatur später im mittelhochdeutschen Minnesang und der Heldenepik weiter, wobei die fränkischen Regionen bedeutende Zentren dichterischer Aktivität blieben.

Bildung und Schriftkultur im Frankenreich

Die Entwicklung der fränkischen Literatur ist eng mit der Ausbildung einer institutionalisierten Bildung und Schriftkultur verbunden. Im Rahmen der karolingischen Bildungsreform wurde das Schreiben und Lesen sowohl in lateinischer als auch in volkssprachlicher Form gefördert. Klöster wie Fulda, Lorsch, Reichenau und Weißenburg wurden zu kulturellen Zentren, in denen literarische Werke verfasst, kopiert und bewahrt wurden. Die Einführung der karolingischen Minuskel als neue, einheitliche Schriftform trug zur Verbreitung und Vereinheitlichung der Schriftkultur im gesamten Frankenreich bei. Diese Reformen ermöglichten eine bis dahin nicht gekannte Breitenwirkung der literarischen Überlieferung und bildeten die Grundlage für die literarische Produktion der nachfolgenden Jahrhunderte.

Rezeption und Nachwirkung

Die Rezeption der fränkischen Literatur reicht weit über das Mittelalter hinaus. Die Werke der fränkischen Annalisten und Chronisten bildeten die Basis für das historische Bewusstsein im Heiligen Römischen Reich und beeinflussten die mittelalterliche Reichsidee nachhaltig. Die fränkischen Heldenepen und Legenden wurden im Hochmittelalter neu bearbeitet und in den höfischen Dichtungen des deutschen Mittelalters weiterentwickelt. Auch die althochdeutschen religiösen Dichtungen, die in fränkischen Klöstern entstanden, blieben für die liturgische Praxis und die volkssprachliche Bibelüberlieferung von Bedeutung. In der neuzeitlichen Forschung hat die fränkische Literatur als Quelle für die Sprachgeschichte, Rechtsgeschichte und Ideengeschichte große Bedeutung erlangt. Sie ermöglicht Einblicke in die Denk- und Vorstellungswelt der frühmittelalterlichen Franken und dokumentiert den Übergang von der spätantiken zur mittelalterlichen Kultur Europas.

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