Kulturelle Vergewaltigung der Geschichte der germanischen Völker durch die nationalsozialistische Verbrecherideologie in den Jahren 1933—1945 im Dritten Reich (Streitschrift)

Die germanischen Völker und ihre mythologischen, kulturellen sowie geschichtlichen Überlieferungen zählen zu den bedeutendsten Elementen des europäischen Erbes. Ihre Geschichten, ihre sozialen Strukturen und ihre religiösen Vorstellungen prägten über Jahrhunderte hinweg das kulturelle Gedächtnis großer Teile des europäischen Kontinents. Doch dieses reiche Erbe wurde im 20. Jahrhundert auf perfide Weise instrumentalisiert. Die nationalsozialistische Ideologie missbrauchte die Vorstellung der germanischen Völker, um eine rassistische, verbrecherische und antihumanistische Politik zu legitimieren. Der Missbrauch der germanischen Vergangenheit durch den Nationalsozialismus war ein Akt kultureller Vergewaltigung, in dessen Folge die echte Geschichte und die geistige Welt dieser Völker in ein Zerrbild pervertiert wurden, das bis heute Schatten wirft.
Bereits im 19. Jahrhundert führte die aufkommende Romantik zu einem Wiederaufleben des Interesses an der germanischen Frühgeschichte. Archäologen, Historiker und Sprachwissenschaftler bemühten sich um eine wissenschaftliche Rekonstruktion des Lebens und Denkens der germanischen Stämme. Diese Forschung war zunächst von dem Bestreben geprägt, die historischen Ursprünge Europas besser zu verstehen. Doch parallel dazu entwickelten sich auch ideologisch aufgeladene Konstruktionen eines vermeintlich „reinen“ und „edlen“ Germanentums, das in krassem Gegensatz zu anderen Völkern gestellt wurde. Solche Konstrukte fanden in den Schriften von Autoren wie Arthur de Gobineau und Houston Stewart Chamberlain einen fruchtbaren Boden. Diese pseudowissenschaftlichen Thesen über „arische Rassenüberlegenheit“ bereiteten ideologisch den Weg für die spätere nationalsozialistische Verzerrung.
Als Adolf Hitler und seine Bewegung zur Macht kamen, wurde der Germanenkult integraler Bestandteil ihrer Propaganda. Die Nationalsozialisten konstruierten ein pseudohistorisches Bild der Germanen als „Urvolk“ einer überlegenen „arischen Rasse“, das seine kulturelle und biologische Reinheit gegenüber „fremdrassigen“ Einflüssen behauptet habe. Diese Darstellung war inhaltlich ebenso falsch wie gefährlich. Die germanischen Stämme der Antike und der Völkerwanderungszeit waren keineswegs eine homogene „Rasse“, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Gruppen, die untereinander vielfältige Kontakte pflegten, Handel trieben, sich mit anderen Ethnien vermischten und komplexe politische Strukturen entwickelten. Die nationalsozialistische Interpretation ignorierte diese Realität und ersetzte sie durch ein rassistisch aufgeladenes Mythologem von „Blut und Boden“, das jede wissenschaftliche Grundlage entbehrte.
Die SS unter Heinrich Himmler spielte eine zentrale Rolle in diesem Missbrauch. Die von ihm gegründete „Forschungs- und Lehrgemeinschaft das Ahnenerbe“ hatte den offiziellen Auftrag, die Geschichte der „indogermanischen“ bzw. „nordischen Rasse“ zu erforschen. In Wirklichkeit diente sie als Propagandainstrument, um ideologisch gewünschte „Beweise“ zu liefern, die die Überlegenheit der angeblichen „Arier“ belegen sollten. Archäologische Ausgrabungen wurden gezielt manipuliert oder in ihrer Bedeutung verzerrt, um die Existenz eines „germanischen Herrenmenschen“ zu propagieren. Die Runenschrift wurde mystifiziert und als geheimer Schlüssel zu einer „ursprünglichen Weisheit“ präsentiert. Die nordische Mythologie, allen voran die Göttergestalten wie Wotan, Thor und Tyr, wurde in einem neopaganen Kontext verklärt und für die rassenideologischen Rituale der SS missbraucht. Insbesondere das Konzept von Walhall und der „heldenhaften Opferbereitschaft“ wurde instrumentalisiert, um die Bereitschaft zum Tod für das „Dritte Reich“ zu glorifizieren.
Dieser ideologische Missbrauch hatte verheerende Auswirkungen. Die Verklärung des „Germanentums“ als rassisch-reine Kultur legitimierte die systematische Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung von Juden, Sinti und Roma, Slawen und anderen Bevölkerungsgruppen, die als „Untermenschen“ diffamiert wurden. Die nationalsozialistische Vorstellung eines germanisch-arischen Herrenmenschen diente als ideologischer Überbau für einen Vernichtungskrieg im Osten Europas, dessen Ziel die Auslöschung ganzer Völker war. Gleichzeitig zerstörte dieser Missbrauch auch das authentische Bild der germanischen Völker in der breiten Wahrnehmung. Bis heute haftet dem Begriff „Germanen“ ein rassistisches und nationalistisches Stigma an, das seine Ursache in der nationalsozialistischen Vereinnahmung hat.
Der Nationalsozialismus trennte die germanische Kultur von ihrem historischen Kontext und machte sie zu einer Karikatur ihrer selbst. Die reichhaltige Mythologie der Edda wurde zu einem ideologischen Werkzeug degradiert, archäologische Funde wie der Sonnenwagen von Trundholm oder die Moorleichen wurden in rassistische Interpretationen eingebettet, die ihrer tatsächlichen Bedeutung nicht gerecht wurden. Selbst die traditionelle Kunst der Runenschrift, ursprünglich ein flexibles, regional unterschiedliches Schriftsystem, wurde im nationalsozialistischen Deutschland zu einem rituellen Symbol für Mord und Unterdrückung umgedeutet. Die „Sig“-Rune der SS ist das bekannteste Beispiel dieser Entweihung einer ursprünglich neutralen Symbolik.
Die germanischen Völker waren in Wahrheit heterogene Gesellschaften mit einer beeindruckenden kulturellen Vielfalt. Sie lebten in einer Zeit massiver Migrationsbewegungen, unterhielten Kontakte zu Kelten, Römern, Slawen und finno-ugrischen Völkern. Ihre Mythen und Legenden spiegelten ein tiefes Verständnis für die Fragilität des menschlichen Daseins, für die zyklische Natur von Leben und Tod, für die Notwendigkeit von Ehre, Loyalität und Gemeinschaft. Diese tiefgründigen geistigen Leistungen gingen in der nationalsozialistischen Vereinnahmung verloren und wurden durch ein plattes, rassistisches Konstrukt ersetzt, das mit der historischen Wirklichkeit nichts gemein hatte.
Es bleibt eine Aufgabe der heutigen Geschichtswissenschaft, die germanischen Völker von dieser ideologischen Hypothek zu befreien. Die Erforschung der germanischen Kultur, Religion und Geschichte muss weiterhin auf einer kritischen, wissenschaftlichen Methodik basieren, die den Quellen Respekt zollt und die Komplexität der frühgeschichtlichen Entwicklungen anerkennt. Nur so lässt sich die Würde der germanischen Völker, ihrer Ahnen und ihrer Mythen wiederherstellen, die durch den nationalsozialistischen Missbrauch entstellt wurden.

Siehe auch
- Missbrauch der Germanen durch den Nationalsozialismus (Meinungsbild)
- Germanen im Geschichtsunterricht (Meinungsbild)
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- Missbrauch einer anderen Welt — Germanische Mythologie und Rechtsextremismus. Tagung vom 22.— 23. November 2013 in Worms und der KZ-Gedenkstätte Osthofen | Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte, Bd. 9 (2014), Jonas Binkle.
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