Untergang des Römischen Reiches durch die Germanen

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Der Untergang des Römischen Reiches durch die Germanen im Jahr 476 n. Chr. markiert einen bedeutenden Wendepunkt in der europäischen Geschichte. Während viele Faktoren zum Niedergang des einst so mächtigen Imperiums beitrugen, spielten die Germanen eine entscheidende Rolle in diesem epochalen Wandel. Ihre wiederholten Invasionen und die Gründung eigener Reiche auf römischem Boden destabilisierten das Römische Reich nachhaltig und beschleunigten dessen Zerfall.

Frühe Begegnungen zwischen Römern und Germanen

Die ersten Kontakte zwischen Römern und Germanen fanden bereits im 2. Jahrhundert v. Chr. statt, als germanische Stämme begannen, in das Gebiet nördlich der Alpen vorzudringen. Die berühmte Schlacht im Teutoburger Wald im Jahr 9 n. Chr., in der der Cheruskerfürst Arminius drei römische Legionen unter dem Kommando von Publius Quinctilius Varus vernichtend schlug, stellte einen Wendepunkt dar. Diese Niederlage führte dazu, dass Rom seine Expansionspläne jenseits des Rheins aufgab und eine defensive Haltung gegenüber den germanischen Stämmen einnahm.

Germanische Einfälle und die Krise des 3. Jahrhunderts

Im 3. Jahrhundert n. Chr. geriet das Römische Reich in eine tiefe Krise. Wirtschaftliche Probleme, innere Machtkämpfe und verstärkte Angriffe von außen setzten dem Imperium zu. Germanische Stämme wie die Goten, Franken und Alemannen nutzten die Schwäche des Reiches aus und unternahmen wiederholt Raubzüge in römisches Territorium. Besonders die Goten spielten eine bedeutende Rolle, als sie im Jahr 251 n. Chr. die römische Armee in der Schlacht von Abrittus besiegten und den römischen Kaiser Decius töteten.

Goten und die Plünderung Roms

Ein entscheidender Moment im Kampf zwischen Römern und Germanen war die Plünderung Roms durch die Westgoten im Jahr 410 n. Chr. Unter der Führung ihres Königs Alarich I. belagerten die Westgoten Rom und eroberten die Stadt. Diese Eroberung schockierte die antike Welt und wurde als ein unheilvolles Zeichen für den bevorstehenden Untergang des Römischen Reiches betrachtet. Alarichs Westgoten zogen danach weiter nach Süden und gründeten schließlich ein eigenes Reich in Aquitanien.

Vandalen und die Eroberung Nordafrikas

Ein weiterer bedeutender germanischer Stamm, der das Römische Reich in die Knie zwang, waren die Vandalen. Im Jahr 429 n. Chr. überquerten die Vandalen unter ihrem König Geiserich die Straße von Gibraltar und eroberten innerhalb weniger Jahre große Teile Nordafrikas, einschließlich der wichtigen Stadt Karthago. Die Kontrolle über diese Region, die als „Kornkammer Roms“ bekannt war, schwächte das Römische Reich erheblich. 455 n. Chr. plünderten die Vandalen Rom und fügten der Stadt weiteren Schaden zu.

Odoaker und das Ende des Weströmischen Reiches

Der endgültige Fall des Weströmischen Reiches wird oft mit dem Jahr 476 n. Chr. und der Absetzung des letzten römischen Kaisers Romulus Augustulus durch den germanischen Heerführer Odoaker in Verbindung gebracht. Odoaker, ein germanischer Söldner, erklärte sich selbst zum König von Italien und sandte die Insignien des Kaisertums nach Konstantinopel, womit er symbolisch das Ende des weströmischen Kaisertums besiegelte.

Rolle der Germanen im Oströmischen Reich

Während das Weströmische Reich unterging, überlebte das Oströmische Reich (Byzanz) noch fast ein Jahrtausend. Dennoch hatten germanische Stämme auch hier Einfluss. Die Ostgoten unter Theoderich dem Großen eroberten Italien und etablierten ein mächtiges Reich, das bis zur Rückeroberung durch das Byzantinische Reich unter Justinian im 6. Jahrhundert Bestand hatte.

Zusammenfassung

Die Germanen spielten eine zentrale Rolle im Niedergang des Römischen Reiches. Durch ihre wiederholten Invasionen, die Gründung eigener Reiche auf römischem Boden und die Eroberung strategisch wichtiger Regionen trugen sie maßgeblich zur Destabilisierung und zum endgültigen Zusammenbruch des weströmischen Imperiums bei. Ihr Einfluss reichte weit über den Fall Roms hinaus und prägte die europäische Geschichte nachhaltig, indem sie den Übergang von der Antike zum Mittelalter mitgestalteten.

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Enzyklopädien & Lexika

Wikipedia

Literatur

  • Hartwin Brandt: Das Ende der Antike. Geschichte des spätrömischen Reiches. 2. Auflage. Beck, München 2004, ISBN 3-406-51918-0 (sehr knappe, inhaltlich konventionelle Einführung in die Ereignisgeschichte der Jahre von 284 bis 565).
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  • Henning Börm: The End of the Roman Empire: Civil Wars, the Imperial Monarchy, and the End of Antiquity. In: Michael Gehler, Robert Rollinger, Philipp Strobl (Hrsg.): The End of Empires. Springer, Wiesbaden 2022, ISBN 978-3-658-36875-3, S. 191–213 (Digitalisat).
  • Karl Christ (Hrsg.): Der Untergang des Römischen Reiches (= Wege der Forschung. Band CCLXIX [269]). 2., unveränderte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1986, ISBN 3-534-04933-0.
  • Alexander Demandt: Geschichte der Spätantike. Beck, München 1998, ISBN 3-406-44107-6, S. 445–447.
  • Alexander Demandt: Der Fall Roms. Beck, München 1984, ISBN 3-406-09598-4 (lesenswerte, detaillierte Darstellung der unterschiedlichen Erklärungsmuster für den „Fall Roms“).
  • Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Der Untergang des Römischen Reiches. WBG Theiss, Darmstadt 2022, ISBN 978-3-8062-4425-0.
  • Walter A. Goffart: Barbarians and Romans A.D. 418–584. The techniques of accommodation. Princeton University Press, Princeton 1980, ISBN 0-691-05303-0 (Goffart entwickelte hier eine einflussreiche, aber umstrittene Theorie, der zufolge die barbarischen Krieger im Imperium kein Land, sondern lediglich einen Anteil an den Steuern erhalten hätten).
  • Guy Halsall: Barbarian Migrations and the Roman West 376–568. Cambridge University Press, Cambridge 2007, ISBN 978-0-521-43543-7 (Halsall hält vornehmlich innere Faktoren für ausschlaggebend für die Entwicklungen und nimmt an, erst der Zerfall des Westreiches habe die Völkerverschiebungen bewirkt, nicht umgekehrt).
  • Henriette Harich-Schwarzbauer, Karla Pollmann (Hrsg.): Der Fall Roms und seine Wiederauferstehungen in Antike und Mittelalter. De Gruyter, Berlin/ Boston 2013, ISBN 978-3-11-028698-4.
  • Kyle Harper: Fatum. Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches. Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-74933-9.
  • Peter J. Heather: The Fall of the Roman Empire. A New History. Oxford University Press, New York 2005, ISBN 0-19-515954-3 (Heather sieht das Auftreten der Hunnen und weiterer äußerer Feinde als Grund für das Ende Roms an: Die Hunnen hätten eine Völkerwanderung ausgelöst, der das Imperium, das bereits seit der Gründung des Sassanidenreiches unter großem äußeren Druck gestanden habe, erlegen sei; siehe auch den Aufsatz unten).
  • Peter J. Heather: The Huns and the End of the Roman Empire in Western Europe. In: English Historical Review. Band 110, 1995, S. 4–41.
  • Alfred Heuß: Römische Geschichte. 7. Auflage. Schöningh, Paderborn 2000, ISBN 978-3-506-73927-8, insbesondere S. 500–506, 601–603.
  • Arnold Hugh Martin Jones: The Later Roman Empire 284–602. A Social, Economic and Administrative Survey. 2 Bände, Baltimore 1986 (Neudruck der Ausgabe in 3 Bänden, Oxford 1964; wichtiges und detailliertes Standardwerk zum Aufbau des spätrömischen Reiches, wenngleich teils überholt und für den Laien nur schwer lesbar).
  • Henri Irénée Marrou: Décadence romaine ou antiquité tardive? IIIe–VIe siècle. Seuil, Paris 1977.
  • Mischa Meier: Geschichte der Völkerwanderung. Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jahrhundert n. Chr. (= Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung). Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-73959-0.
  • Walter Pohl: Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration. 2. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2005. ISBN 3-17-018940-9.
  • Bryan Ward-Perkins: The Fall of Rome and the End of Civilization. Oxford University Press, Oxford 2005; Nachdruck 2006, ISBN 978-0-19-280728-1 (Darstellung des Endes des Weströmischen Reiches, die im Gegensatz zu Walter Goffart diesen Prozess als brutalen Einschnitt, hervorgerufen durch äußere Angreifer, versteht. Ward-Perkins betont, ausgehend vom archäologischen Befund, es habe sich nicht um eine bloße Transformation, sondern um einen Niedergang und Verfall gehandelt, der durch „barbarische“ Attacken verursacht wurde).
  • Edward J. Watts: The Eternal Decline and Fall of the Roman Empire: The History of a dangerous Idea. OUP, Oxford 2021. ISBN 978-0-19-007671-9 (rezeptionsgeschichtliche Studie zum Dekadenznarrativ).
  • Christian Witschel: Imperium im Wandel. Das Ende des Römischen Reiches im Urteil der modernen Geschichtswissenschaft. In: Praxis Geschichte. Ausgabe 1/2014, S. 4–11 (knapper Überblick über die Diskussion).