Germanischer Jahreskreis

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Der germanische Jahreskreis bezeichnet die traditionelle Einteilung des Jahres in Zyklen und Feste, wie sie von den germanischen Völkern vor der Christianisierung Nordeuropas praktiziert wurde. Dabei spielte die Natur, insbesondere die Jahreszeiten und ihre Auswirkungen auf das Leben der Menschen, eine zentrale Rolle. Der Jahreskreis war nicht nur eine agrarische Einteilung, sondern auch eng mit religiösen und kultischen Handlungen verknüpft. Die Feste markierten Übergänge im Naturzyklus und wurden durch Rituale und Opferhandlungen begleitet, die dazu dienten, die Götter gnädig zu stimmen, den Wechsel der Jahreszeiten zu feiern und die Fruchtbarkeit des Landes zu sichern.

Bedeutung der Natur im germanischen Jahreskreis

Die Natur hatte im Leben der Germanen eine zentrale Stellung. Die Menschen lebten eng mit dem Wechsel der Jahreszeiten und waren direkt von den klimatischen Bedingungen abhängig. Die germanischen Stämme in den nördlichen Gebieten Europas waren besonders von den harten Wintern und den kurzen Sommern betroffen. Diese Abhängigkeit prägte auch das religiöse und kulturelle Leben. Feste und Rituale orientierten sich am Sonnenlauf und an den Phasen des Mondes, der in vielen alten Kulturen eine entscheidende Rolle spielte. Durch diese zyklischen Veränderungen, die in Verbindung mit dem natürlichen Jahreslauf standen, wurde der germanische Jahreskreis nicht nur als eine pragmatische Einteilung der Zeit verstanden, sondern auch als ein heiliges Abbild der göttlichen Ordnung der Welt.

Die Germanen betrachteten die Naturkräfte als göttlich. Götter und Göttinnen wie Freyja, Thor, Odin oder Nerthus waren eng mit natürlichen Phänomenen wie Fruchtbarkeit, Wetter und Ernte verbunden. Diese göttlichen Wesen waren es, die in den Ritualen des Jahreskreises angerufen und verehrt wurden. Die Germanen glaubten, dass durch Opfergaben und Rituale die Götter und Naturgeister gnädig gestimmt und die Balance in der Natur aufrechterhalten werden konnten.

Einfluss der Sonne und der Mondphasen

Der germanische Jahreskreis war stark vom Sonnenzyklus bestimmt, insbesondere von den Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen, die für die Germanen heilige Zeitpunkte darstellten. Die Wintersonnenwende, die als Wiedergeburt der Sonne angesehen wurde, markierte beispielsweise den tiefsten Punkt des Jahres, von dem aus das Licht wieder stärker wurde. Die Sommersonnenwende hingegen symbolisierte den Höhepunkt des Sonnenzyklus, nach dem die Tage wieder kürzer wurden.

Auch die Mondphasen spielten eine zentrale Rolle. Der Mondkalender war oft ausschlaggebend für die genaue Bestimmung der Feste, da die Germanen sowohl Sonnen- als auch Mondzyklen in ihrer Zeitrechnung kombinierten. In vielen germanischen Sprachen weist der Name des Monats auf den Mond hin, wie etwa im altnordischen „mánudhr“ (Monat), was „Mondlauf“ bedeutet.

Wichtigste Feste im germanischen Jahreskreis

Die Feste des germanischen Jahreskreises waren eng mit den agrarischen Zyklen und dem Überleben der Gemeinschaft verbunden. Sie feierten den Übergang zwischen den Jahreszeiten und dienten gleichzeitig der rituellen Sicherung des Wohlstands, der Fruchtbarkeit und des Überlebens in der Natur.

Ein zentrales Fest im germanischen Jahreskreis war das sogenannte „Julfest“, das zur Zeit der Wintersonnenwende (um den 21. Dezember) begangen wurde. Jul symbolisierte den Wendepunkt des Winters, den Neubeginn des Lichtes und damit die Hoffnung auf den kommenden Frühling. Dieses Fest stand in enger Verbindung mit Opferungen und Ahnenverehrung, da man glaubte, dass die Ahnen in dieser Zeit besonders nahe seien und Schutz bieten könnten.

Ein weiteres bedeutendes Fest war das sogenannte „Ostara“, das zur Frühlingstagundnachtgleiche gefeiert wurde. Dieses Fest stand ganz im Zeichen der Wiedergeburt der Natur. Der Name „Ostara“ leitet sich von der Göttin der Morgenröte und des Frühlings, der Göttin Ostara, ab, die mit der Wiederkehr des Lichts und des Lebens assoziiert wurde. Dieses Fest war eng mit Fruchtbarkeitsriten verbunden, bei denen es darum ging, das Wachstum der Felder und die Fruchtbarkeit von Mensch und Tier sicherzustellen.

Der Sommer war durch das „Mittsommerfest“ gekennzeichnet, das zur Sommersonnenwende (um den 21. Juni) gefeiert wurde. In dieser Zeit stand die Sonne auf ihrem höchsten Punkt, und die Tage waren lang. Mittsommer galt als eine Zeit großer Lebenskraft und Fülle, doch gleichzeitig markierte es den Moment, an dem das Licht langsam wieder nachließ und der Herbst nahte. Die Feierlichkeiten waren daher von einer Mischung aus Lebensfreude und der Vorbereitung auf die dunklere Jahreszeit geprägt.

Der Herbst wurde durch das „Erntefest“ oder „Herbstäquinoktium“ (Tagundnachtgleiche im September) eingeleitet. Es war die Zeit, in der die Ernte eingebracht wurde, und die Menschen dankten den Göttern für die Gaben der Natur. Gleichzeitig war dieses Fest von Vorbereitungen auf den Winter begleitet. Opfergaben wurden dargebracht, um Schutz für die bevorstehende Kälte zu erbitten und die Gemeinschaft auf die härteren Monate des Jahres einzustimmen.

Übergang von den heidnischen zu den christlichen Bräuchen

Mit der Christianisierung der germanischen Völker in den Jahrhunderten nach der Zeitenwende wurden viele heidnische Bräuche in den christlichen Glauben integriert oder verdrängt. Die frühen Missionare und christlichen Obrigkeiten erkannten, dass es schwer war, tief verwurzelte heidnische Feste vollständig abzuschaffen, und so wurden viele dieser Feste umgewidmet. Ein Beispiel dafür ist das Julfest, das im Christentum in das Weihnachtsfest überging. Auch die Frühlingsfeste wie Ostara wurden in das christliche Osterfest integriert, wobei viele der alten Symbole und Riten erhalten blieben, etwa das Ei als Zeichen der Fruchtbarkeit.

Diese Übergänge waren nicht immer reibungslos, und in vielen Regionen hielten sich die alten Bräuche noch lange Zeit parallel zu den neuen christlichen Feiertagen. Oft wurden diese alten heidnischen Elemente von der Kirche geduldet, solange sie in christliche Kontexte überführt wurden. So verschwammen im Laufe der Zeit viele Elemente des germanischen Jahreskreises mit christlichen Traditionen, und in ländlichen Gebieten wurden viele der alten Rituale bis in die frühe Neuzeit hinein gepflegt.

Germanischer Jahreskreis in der Neuzeit

In der modernen Zeit gibt es eine verstärkte Rückbesinnung auf alte heidnische Bräuche, und viele Menschen in Europa und Nordamerika interessieren sich wieder für den germanischen Jahreskreis. In neopaganen und neuheidnischen Bewegungen, wie der Ásatrú-Bewegung, wird der germanische Jahreskreis in seinen traditionellen Formen wiederbelebt und gefeiert. Diese modernen Interpretationen basieren oft auf historischen Rekonstruktionen, die aus archäologischen und literarischen Quellen stammen, wobei auch Lücken in den Überlieferungen kreativ gefüllt werden.

Heutzutage werden die Feste des Jahreskreises von diesen Gemeinschaften als Teil einer naturverbundenen Spiritualität begangen. Die Rituale konzentrieren sich oft auf die Verehrung der Natur, die Feier der Jahreszeiten und die Erinnerung an die alten Götter und Traditionen der Germanen. Dabei spielt die bewusste Abkehr von einer technisierten, urbanen Lebensweise und die Hinwendung zu einem spirituellen Naturverständnis eine wichtige Rolle.

Der germanische Jahreskreis dient somit nicht nur als ein Kalender für landwirtschaftliche Arbeiten oder Festlichkeiten, sondern auch als ein Symbol für die Harmonie zwischen Mensch und Natur, die in vielen modernen spirituellen Strömungen wieder an Bedeutung gewonnen hat.

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