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Zeitrechnung der Germanen

Aus Germanologie
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Die Zeitrechnung der Germanen, also der germanischen Stämme und Völker während der Antike und des frühen Mittelalters, unterscheidet sich grundlegend von den heute geläufigen Zeitvorstellungen. Ihre Zeitvorstellungen und Kalender waren eng mit der Natur, den jahreszeitlichen Zyklen sowie mythologischen und religiösen Vorstellungen verknüpft. Im Gegensatz zu den durch den Julianischen und später Gregorianischen Kalender geprägten Zeitkonzepten der Römer und Christen, entwickelte sich bei den Germanen ein System, das vor allem landwirtschaftliche, kultische und astronomische Faktoren in den Vordergrund stellte.

Tageslauf und Tageseinteilung

Im Gegensatz zu modernen Kalendern, die den Tag um Mitternacht beginnen lassen, begann bei den germanischen Stämmen der neue Tag mit dem Sonnenuntergang. Dies bedeutet, dass ein neuer Tag bei Dämmerung, also mit dem Eintreten der Dunkelheit, anfing und bis zum nächsten Sonnenuntergang dauerte. Diese Praxis findet sich in ähnlicher Weise auch in anderen vorchristlichen Kulturen und spiegelt eine enge Verbundenheit mit der natürlichen Abfolge von Tag und Nacht wider.

Innerhalb des Tages unterteilten die Germanen die Zeit nach der Helligkeit der Sonne. Konkrete Zeitpunkte, wie sie heute üblich sind, etwa Stunden oder Minuten, waren nicht bekannt. Man orientierte sich an den natürlichen Phasen des Tagesverlaufs, etwa dem Morgen, Mittag, Nachmittag und Abend. Eine exakte Festlegung von Stunden war für ihre Lebensweise, die stark von der Natur geprägt war, nicht notwendig. Besonders wichtig waren den Germanen jedoch die Übergänge – der Sonnenaufgang und der Sonnenuntergang –, da diese Zeitpunkte symbolisch stark aufgeladen waren.

Monate und Jahreszeiten

Die germanische Zeitrechnung orientierte sich vor allem an den Mondphasen, was sich in ihrer Bezeichnung der Monate widerspiegelt. Ein Monat begann traditionell mit dem Neumond und dauerte bis zum nächsten Neumond. Diese lunare Zeitrechnung führte dazu, dass das Jahr nicht exakt mit dem Sonnenjahr übereinstimmte, was jedoch nicht als Problem empfunden wurde, da die Zeit vor allem durch natürliche, landwirtschaftliche und kultische Zyklen bestimmt war.

Die Germanen teilten das Jahr primär in zwei große Jahreszeiten ein: den Sommer und den Winter. Diese Aufteilung war entscheidend für ihre landwirtschaftlichen Tätigkeiten, da der Sommer als Zeit des Wachstums und der Ernte galt, während der Winter die Zeit der Ruhe und des Überwinterns war. Entsprechend wurde das Jahr häufig in eine „lichte“ und eine „dunkle“ Jahreszeit gegliedert, wobei die Sommersonnenwende und die Wintersonnenwende wichtige Marker innerhalb dieses Zyklus waren.

Die Monate selbst trugen bei den Germanen keine festen Bezeichnungen wie heute, sondern waren oft nach Naturereignissen, landwirtschaftlichen Arbeiten oder kultischen Handlungen benannt. So gibt es Hinweise auf Monatsbezeichnungen wie „Austermonat“, der den Frühlingsbeginn markierte, oder den „Erntemonat“, der mit der Erntezeit zusammenfiel. Der Winterbeginn wurde häufig durch das Fest „Jul“ markiert, das auch die Mitte des Winters symbolisierte und später in das christliche Weihnachtsfest integriert wurde.

Wochen und Wochentage

Die Vorstellung einer Woche, wie sie in der jüdisch-christlichen Tradition mit sieben Tagen verankert ist, war den Germanen ebenfalls bekannt, wobei sie vermutlich von den Römern übernommen wurde. Die Germanen gaben den Wochentagen jedoch eigene, nach ihren Göttern benannte Namen. So entspricht der heutige Dienstag dem germanischen Gott Tyr („Tyrsdag“), der Mittwoch Wodan („Wodansdag“), der Donnerstag Thor („Thorsdag“) und der Freitag der Göttin Frigg („Friggsdag“). Diese Benennungen zeigen die enge Verbindung zwischen Zeitrechnung und mythologischen Vorstellungen.

Während die Woche in vorchristlicher Zeit möglicherweise noch keine zentrale Rolle in der Zeitorganisation spielte, wurde sie im Zuge der Christianisierung immer bedeutender. Die Einführung des Sonntag als heiligem Tag, der dem christlichen Gottesdienst gewidmet war, führte zu einer weiteren Institutionalisierung der Woche im Alltag der germanischen Stämme.

Jahresfeste und ihre Bedeutung

Die Germanen orientierten sich in ihrer Zeitrechnung nicht nur an astronomischen und natürlichen Gegebenheiten, sondern auch an festgelegten kultischen Festen, die das Jahr strukturierten. Besonders bedeutend waren die Sonnenwenden. Die Wintersonnenwende, die in der Regel um den 21. Dezember herum fiel, wurde mit dem „Jul“-Fest gefeiert. Dieses Fest symbolisierte die Rückkehr des Lichts und den Beginn des neuen Sonnenjahres. Es war nicht nur ein Fest des Neuanfangs, sondern auch ein Anlass, die Ahnen zu ehren und den Göttern Opfer zu bringen, um eine gute Ernte im kommenden Jahr zu sichern.

Die Sommersonnenwende, die um den 21. Juni herum gefeiert wurde, war ein Fest der Fülle und des Überflusses. Sie markierte den Höhepunkt des Sommers und wurde oft mit Fruchtbarkeitsriten begangen, um die Fruchtbarkeit des Landes und der Menschen zu sichern.

Ein weiteres bedeutendes Fest war das „Erntedankfest“, das nach Abschluss der Ernte begangen wurde. Es war ein Fest des Dankes an die Götter für die erfolgreiche Ernte und bot die Gelegenheit, gemeinsam mit der Gemeinschaft zu feiern und sich für den kommenden Winter zu wappnen. In vielen germanischen Stämmen wurde dieses Fest mit Opferritualen und großen Festmählern begangen.

Diese Feste strukturierten nicht nur den Jahreslauf, sondern prägten auch das soziale und religiöse Leben der Germanen. Sie boten Orientierungspunkte im Jahreslauf und halfen dabei, die Naturzyklen in ritueller Weise zu verarbeiten.

Kalender und Zeitberechnung

Es gibt Hinweise darauf, dass die Germanen eine Art Kalender entwickelt hatten, der auf astronomischen Beobachtungen basierte. Der römische Schriftsteller Tacitus berichtet in seiner „Germania“, dass die Germanen ihre Zeitrechnung nach den Mondphasen ausrichteten und den Vollmond für wichtige Entscheidungen nutzten. Dies bedeutet, dass die Monate vermutlich nach dem Mond berechnet wurden und ein Jahr etwa 12 Mondmonate umfasste.

Da das Mondjahr kürzer ist als das Sonnenjahr, ergaben sich regelmäßig Ungleichgewichte, die vermutlich durch zusätzliche Tage oder Monate ausgeglichen wurden. Ähnliche Systeme finden sich auch in anderen frühen Kulturen, etwa bei den Kelten. Konkrete schriftliche Aufzeichnungen über einen germanischen Kalender sind jedoch selten, da die Germanen ihre Zeitrechnung vor allem mündlich weitergaben und schriftliche Aufzeichnungen erst mit der Christianisierung und der Übernahme des römischen Kalenders in Mode kamen.

Trotz der Anpassung an den römischen Kalender und später den christlichen liturgischen Kalender, blieben einige der germanischen Zeitkonzepte, insbesondere die Feste und die Orientierung an den Naturzyklen, lange Zeit bestehen. Viele dieser Traditionen flossen später in den mittelalterlichen Bauernkalender ein und prägen bis heute einige Bräuche, etwa die Feier der Wintersonnenwende.

Einfluss der Christianisierung

Mit der Christianisierung der germanischen Völker kam es zu einem tiefgreifenden Wandel in ihrer Zeitrechnung. Der römische Julianische Kalender wurde nach und nach übernommen, und die Einteilung des Jahres in christliche Feste wie Ostern, Weihnachten und Allerheiligen prägte zunehmend das Zeitgefühl der germanischen Stämme. Die Woche mit sieben Tagen, die Orientierung an den christlichen Heiligen und das Kirchenjahr setzten sich durch.

Viele der heidnischen Feste wurden jedoch christianisiert und in den neuen Kalender integriert. Das „Jul“-Fest wurde zum Weihnachtsfest, und die heidnischen Frühlingsrituale flossen in die Osterfeierlichkeiten ein. Dennoch blieb der Einfluss der germanischen Zeitvorstellungen spürbar, insbesondere in ländlichen Gebieten, wo die alten Bräuche oft noch lange gepflegt wurden.

Auch die alten Monatsnamen und die Bezugnahme auf die Götter in den Wochentagen überlebten in vielen Regionen, was zeigt, dass die germanische Zeitrechnung trotz des Wandels durch die Christianisierung ihre Spuren hinterlassen hat.

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