Altnordische Sprachen
Altnordische Sprachen bezeichnen die Gesamtheit der Sprachformen, die von den nordgermanischen Völkern während der Wikingerzeit und des frühen Mittelalters gesprochen wurden. Sie umfassen die Dialekte, die sich aus dem Urnordischen entwickelt haben und zwischen dem 8. und 14. Jahrhundert in Skandinavien sowie in den von Skandinaviern besiedelten Gebieten verbreitet waren. Die altnordischen Sprachen bilden eine bedeutende Grundlage für die modernen nordgermanischen Sprachen und spielen eine zentrale Rolle für das Verständnis der skandinavischen Kultur, Literatur und Geschichte.
Historische Entwicklung
Die altnordischen Sprachen entwickelten sich aus dem Urnordischen, einer proto-germanischen Sprache, die bis etwa 700 n. Chr. in Skandinavien gesprochen wurde. Mit der zunehmenden Differenzierung der Dialekte innerhalb des urnordischen Sprachraums entstanden ab dem 8. Jahrhundert die frühesten Formen des Altnordischen. Diese Phase wird oft als Übergangszeit bezeichnet, in der sich wesentliche sprachliche Neuerungen wie die Diphthongierung und die Umlautbildung herausbildeten.
Im Laufe der Wikingerzeit kam es zu einer weiten Verbreitung der altnordischen Sprachen durch die Expansion der nordgermanischen Völker. So wurden sie nicht nur in Skandinavien, sondern auch auf den Britischen Inseln, in Island, Grönland und sogar in Teilen Russlands gesprochen. Während des Hochmittelalters entwickelten sich aus dem Altnordischen schließlich die mittelalterlichen Formen des Isländischen, Norwegischen, Schwedischen und Dänischen.
Geographische Verbreitung
Die altnordischen Sprachen hatten ihre Ursprünge im heutigen Dänemark, Norwegen und Schweden, breiteten sich jedoch mit der Migration der Wikinger rasch über große Teile Europas aus. In Island und auf den Färöern erlangten die altnordischen Sprachen eine besondere Bedeutung, da diese Regionen weitgehend isoliert waren und sich die Sprache dort relativ unverändert entwickeln konnte. Im Gegensatz dazu war das Altnordische in den skandinavischen Mutterländern stärker äußeren Einflüssen, insbesondere durch den Kontakt mit dem Niederdeutschen, ausgesetzt, was zu einer größeren sprachlichen Veränderung führte.
In den von den Wikingern kolonisierten Gebieten wie Nordengland, Irland und der Normandie vermischte sich das Altnordische mit den lokalen Sprachen und hinterließ zahlreiche sprachliche Spuren. So sind viele Ortsnamen in diesen Regionen altnordischen Ursprungs. In Grönland hingegen verschwand die altnordische Sprache nach dem Untergang der dortigen Siedlungen vollständig.
Sprachliche Merkmale
Die altnordischen Sprachen zeichneten sich durch eine komplexe Grammatik aus, die typisch für die indogermanischen Sprachen war. Sie verfügten über ein ausgeprägtes System von Deklinationen und Konjugationen, das Nomen, Verben und Adjektive in verschiedene Kasus, Numeri und Genera einteilte. Besonders charakteristisch war die Verwendung von Umlauten, die durch die Vokalharmonie innerhalb eines Wortes beeinflusst wurden. Diese lautlichen Veränderungen waren ein prägendes Merkmal der altnordischen Phonologie.
Die altnordischen Sprachen besaßen zudem eine reiche Lexik, die sowohl Alltagsbegriffe als auch poetische Ausdrucksweisen umfasste. Viele Begriffe, die aus dem Bereich der Seefahrt und des Handels stammen, spiegeln die Kultur und Lebensweise der Wikinger wider. Ebenso enthalten die altnordischen Texte zahlreiche Metaphern und Umschreibungen, sogenannte Kenningar, die besonders in der Dichtung eine zentrale Rolle spielten.
Ein weiteres bedeutendes Merkmal war das Runenalphabet, das zur Verschriftlichung des Altnordischen verwendet wurde. Die ältesten altnordischen Texte wurden in der älteren Futhark geschrieben, während später die jüngere Futhark zum Einsatz kam. Ab dem Hochmittelalter begann man, das Altnordische zunehmend in lateinischer Schrift festzuhalten, was die schriftliche Überlieferung erheblich erweiterte.
Literarische Tradition
Die altnordischen Sprachen sind besonders bekannt für ihre reiche literarische Überlieferung, die in Werken wie den Eddas und den Isländersagas überliefert ist. Diese Texte bieten nicht nur einen Einblick in die Mythologie und Geschichte der nordgermanischen Völker, sondern auch in ihre poetischen und erzählerischen Fähigkeiten. Die altnordische Dichtung zeichnet sich durch einen strengen metrischen Aufbau und die Verwendung von Kenningar aus, die den Texten eine besondere ästhetische und symbolische Tiefe verleihen.
Ein Großteil der altnordischen Literatur wurde in Island verfasst, wo die Sprache bis weit ins Mittelalter hinein konserviert wurde. Die Werke sind nicht nur von sprachwissenschaftlichem Interesse, sondern auch von unschätzbarem Wert für die Erforschung der skandinavischen Kultur und Gesellschaft.
Einfluss und Nachleben
Die altnordischen Sprachen hatten einen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der modernen nordgermanischen Sprachen, insbesondere des Isländischen, Norwegischen, Schwedischen und Dänischen. Das heutige Isländisch hat sich dabei am stärksten an die altnordische Sprachform angelehnt und weist noch immer viele grammatische und lexikalische Ähnlichkeiten mit dem Altnordischen auf.
Darüber hinaus hinterließen die altnordischen Sprachen auch Spuren in anderen Sprachräumen, insbesondere im Englischen, wo zahlreiche Lehnwörter wie „sky“ und „window“ altnordischen Ursprungs sind. Auch in der deutschen Sprache finden sich altnordische Einflüsse, vor allem im Bereich der Seefahrt und der Rechtswissenschaft.
Zusammenfassung
Die altnordischen Sprachen spielen eine zentrale Rolle in der Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker. Ihre Entwicklung, Verbreitung und literarische Tradition machen sie zu einem wichtigen Forschungsgebiet sowohl der Sprachwissenschaft als auch der Geschichtswissenschaft. Ihr Erbe lebt in den modernen skandinavischen Sprachen und der internationalen Wissenschaft fort, die sich weiterhin mit der Erforschung dieser faszinierenden Sprachformen beschäftigt.

Siehe auch
Geschichtswissenschaftliche Nachschlagewerke
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Literaturverzeichnis
Einführungen
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- Astrid van Nahl: Einführung in das Altisländische. Ein Lehr- und Lesebuch. Buske, Hamburg 2003, ISBN 3-87548-329-4.
- Jan Alexander van Nahl, Astrid van Nahl: Skandinavistische Mediävistik. Eine Einführung in die altwestnordische Sprach- und Literaturgeschichte. Buske, Hamburg 2019, ISBN 978-3-87548-967-5.
Grammatiken
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- Siegfried Gutenbrunner: Historische Laut- und Formenlehre des Altisländischen. Zugleich eine Einführung in das Urnordische. Winter, Heidelberg 1951.
- Andreas Heusler: Altisländisches Elementarbuch. 7. Auflage. Winter, Heidelberg 1967. ISBN 978-3-8253-0486-7.
- Odd Einar Haugen: Norröne Grammatik im Überblick. Altisländisch und Altnorwegisch. 2., durchgesehene Auflage. Buske, Hamburg 2015, ISBN 978-3-87548-748-0.
- Dietrich Hofmann, Friedrich Ranke: Altnordisches Elementarbuch. Einführung, Grammatik, Texte (z. T. mit Übersetzung) und Wörterbuch. 5. Auflage. de Gruyter, Berlin / New York 1988, ISBN 3-11-011680-4.
- Robert Nedoma: Kleine Grammatik des Altisländischen. 3. Auflage. Winter, Heidelberg 2010, ISBN 978-3-8253-5786-3.
- Adolf Noreen: Altnordische Grammatik. Altisländische und altnorwegische Grammatik (Laut- und Flexionslehre) unter Berücksichtigung des Urnordischen. 5. Auflage. Max Niemeyer, Tübingen 1970, ISBN 3-484-10145-8.
- Adolf Noreen. Altschwedische Grammatik – mit Einschluß des Altgutnischen. Max Niemeyer, Halle 1904.
- Adolf Noreen: Altisländische und altnorwegische Grammatik, unter Berücksichtigung des Urnordischen. 3. Auflage. Max Niemeyer, Halle 1903. Letzte von Noreen bearbeitete Auflage ist die 4. von 1923, als 5. Auflage 1970 nachgedruckt.
Wörterbücher
- Walter Baetke: Wörterbuch zur altnordischen Prosaliteratur. Akademie-Verlag, Berlin 2005. ISBN 3-05-004137-4.
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- Johan Fritzner: Ordbog over Det gamle norske Sprog. Unveränderter Nachdruck der 2. Auflage. Oslo 1954.
- Sveinbjörn Egilsson: Lexicon Poeticum antiquæ linguæ septentrionalis. Ordbog over det norsk-islandske Skjaldesprog. 2. Aufl. Kopenhagen 1931.
- Alexander Jóhannesson: Isländisches Etymologisches Wörterbuch. Bern 1956.
- Jan de Vries: Altnordisches etymologisches Wörterbuch. 3. Auflage (Nachdruck der 2., verbesserten Auflage 1962). Leiden, Brill 1977.
Sprachgeschichte
- Oskar Bandle: Die Gliederung des Nordgermanischen. Helbing & Lichtenhahn, Basel/Stuttgart 1973 (2. Auflage 2011).
- Einar Haugen: Die skandinavischen Sprachen. Eine Einführung in ihre Geschichte. Buske, Hamburg 1984. ISBN 3-87118-551-5.
- Andreas Alexander Ulrich
- Germanologie
- Deutsche Geschichte
- Deutsche Kultur
- Deutsche Literatur
- Deutsche Sprache
- Germanen
- Germania
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- Germanische Altertumskunde
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